Donnerstag, 4. Oktober 2012

Fallbeispiel: Junger Mann mit akuten Thoraxschmerzen


Anamnese:


Allgemein:

- 30-jähriger Mann
- Verwaltungsfachangestellter
- voll orientiert
- normale Konstitution
- Patient habe seit heute Fieber und stechende Herzschmerzen

Frage: An welche Differenzialdiagnosen denken Sie bei Schmerzen hinter dem Sternum im Zusammenhang mit Fieber?

Differenzierung der Beschwerden:
Er habe noch nie Schmerzen in dieser Qualität gehabt. Die Stärke würde er auf der VAS (Visuelle Analogskala) bei 6 einordnen. Die Schmerzen hätten heute begonnen und seien in ihrer Intensität konstant geblieben. Einen Auslöser könne er nicht benennen. Im Liegen, und wenn er husten müsse, seien die Schmerzen stärker. Leichte Ausstrahlungen in beide Arme seien vorhanden.

Vegetative Anamnese:
Er sei besorgt. Er habe vor einer Stunde 38,5 Grad axilläre Temperatur gemessen. Er fühle sich allgemein schlapp.

Vorerkrankungen:
Er sei Asthmatiker. Er habe vor vier Wochen eine Erkältung gehabt.

Medikamenten- und Suchtanamnese:
Er trinke ganz gern mal ein Gläschen. Rauchen tue er, seitdem er 10 sei (20py). Seine Cannabis-Zeit sei vorbei.

Reiseanamnese:
Er sei vor fünf Wochen auf Urlaub in der Türkei gewesen.

Sozioökonomische Anamnese:
Er habe ordentlich Stress in seinem Beruf. Aber er käme damit klar. Er bräuchte auch immer was zu tun. Seine Freundin habe er jetzt seit 4 Jahren. Kinder seien in Planung.

Familienanamnese:
Bestimmte Erkrankungen in der Familie seien nicht bekannt.

Frage: Mit Augenmerk auf die Reiseanamnese, die durchgemachte Erkältung und die Veränderung der Schmerzintensität durch Lageänderung: An welche Diagnose denken Sie am ehesten?


Befund:

Allgemeines:
- Patient sieht blass aus
- Temperatur rektal: 39 Grad Celsius
Herz-Kreislauf:
- kratzendes Geräusch bei der Herzauskultation (vor allem in Expiration zu vernehmen)
Lunge:
- Untersuchung komplett unauffällig

EKG:
- leichte ST-Strecken-Hebung
Labor: 
- geringfügiger Anstieg von CK und Troponin

Frage: An welche Diagnose denken Sie bezüglich des kratzenden Geräuschs in der Herzauskultation am ehesten? Wie passt dieser Befund mit EKG und Labor zusammen? Was ist Ihre Hauptverdachtsdiagnose?


(für Auflösung bitte scrollen)




























Erläuterung zum Fallbeispiel "Perikarditis"

Die Perikarditis ist ein Krankheitsbild, welches mannigfaltige Ursachen haben kann. Sie kann, grob gesagt, in infektiöse, autoimmune/überempfindlichkeitsreaktive und sonstige nicht-infektiöse Geschehen unterteilt werden. Was die Infektionen angeht, kommen verschiedene Viren, Bakterien, Pilze oder Parasiten in Betracht. In Verbindung mit Autoimmunerkrankungen und Überempfindlichkeitsreaktionen findet sie sich bei rheumatischem Fieber, verschiedenen Kollagenosen, Medikamenteninduktion und als Folge eines Myokardinfarktes (Dressler-Syndrom). Sonstige nicht-infektiöse Ursachen sind sehr vielfältig und reichen von Myxödem, Urämie über mechanische Traumata bis hin zur Folge von Bestrahlung (z.B. bei Tumoren). Es handelt sich also um eine Krankheit, die eine sehr genaue Anamnese erfordert, und auch dann immer noch schwer zu diagnostizieren ist.
In diesem Fallbeispiel haben wir einen 30-jährigen Mann, der am Tag seiner Vorstellung bei Ihnen Herzschmerzen und Fieber bekommen habe. Erst einmal ist zu sagen, dass akute Perikarditiden (es gibt auch chronische Verlaufsformen) oft bei jungen Erwachsenen auftreten. Die Kombination aus stechenden Herzschmerzen und Fieber ist ebenfalls recht typisch. Der Patient sagt weiterhin, dass er einen Auslöser nicht benennen könne, wohl aber Veränderungen in der Intensität der Schmerzen verspüre, wenn er seine Körperlage ändere oder huste. Des Weiteren gibt er Ausstrahlungen in beide Arme an. An diesem Punkt findet man sich mit der Frage konfrontiert, ob es sich hierbei eventuell um einen Myokardinfarkt (MI) handeln könnte. Wir haben Schmerzen im Herzbereich und es finden sich Ausstrahlungen. Folgende Dinge müssen in diesem Zusammenhang differentialdiagnostisch bedacht werden: Das zeitliche Verhältnis zwischen Schmerzen und Fieber kann sehr wichtig sein, wenn man die Perikarditis von einem MI abgrenzen will. Denn während bei Ersterer Fieber und Schmerzen meist zeitgleich einsetzen, empfindet der Patient beim MI die Schmerzen in der Regel einige Zeit, bevor eine Temperaturerhöhung festgestellt werden kann. Untypisch für einen Herzinfarkt ist in diesem Fall auch die Veränderung der Schmerzintensität durch Lageänderung, was für die Perikarditis kennzeichnend ist (im Zusammenhang mit Beteiligung der Pleura). Wissen muss man weiterhin, dass beide Krankheiten mit Ausstrahlungen der Schmerzen einhergehen können. Da ist ein feines diagnostisches Gespür gefragt.
Dass der Patient vier Wochen zuvor eine Infektion der oberen Atemwege gehabt habe, erhärtet die Diagnose einer Perikarditis, da die infektiösen Formen oft von einem solchen Geschehen herrühren. Der Fakt, dass er fünf Wochen zuvor in der Türkei gewesen sei, kann auf eine exotische Infektion hinweisen, was in jedem Fall hellhörig machen sollte. Der Rest der Anamnese ist nicht wirklich richtungsweisend.
Interessanter wird es dann wieder bei der körperlichen Untersuchung. Das Fieber bestätigt sich. Wenn man weiterschaut, wird die Dringlichkeit noch deutlicher. Der Patient weißt ein kratzendes Geräusch über dem Herzen auf, welches vor allem in der Expiration zu vernehmen ist. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um das berühmte Perikardreiben. Es entsteht durch das Aufrauen des Herzbeutels durch die Entzündung, was mitverantwortlich für die Schmerzen ist. Dass die Untersuchung der Lunge komplett unauffällig ist, findet deshalb Erwähnung, weil die Schmerzen bei Lageänderung und Husten auf ein begleitendes pleurales Geschehen (pleuritischer Schmerz) hinweisen. Mit einem Paukenschlag kommen dann noch EKG und Labor daher. Das EKG weißt eine ST-Strecken-Hebung auf, und im Labor finden sich Erhöhungen von CK und Troponin. Beide Ergebnisse sind ebenfalls typisch für den Myokardinfarkt. Allerdings ist es gut, im Hinterkopf zu haben, dass EKG-Veränderung und Erhöhung bestimmter Laborparameter mit Hinweis auf Myokardzerstörung (was ja CK und Troponin sind) bei der Perikarditis ebenfalls vorkommen, allerdings in weniger signifikantem Maße.
Zum Abschluss soll noch auf einige Komplikationen der akuten Perikarditis eingegangen werden.
Sie geht oft mit einem Perikarderguss einher, welcher seinerseits als Gleitmittel fungiert und das Perikardreiben und somit auch die Schmerzen einschränkt. Im Zusammenhang mit dieser Erkrankung ist ein Nachlassen der Schmerzen also nicht zwingend ein gutes Zeichen. Wirklich bedeutsam wird dieser Erguss, wenn er in großem Maße zunimmt und sich eine Herzbeuteltamponade (Perikardtamponade) entwickelt. Diese stellt einen absoluten medizinischen Notfall dar. Sie führt dazu, dass die Füllung des Herzens beeinträchtigt wird. Es kommt also zu einem Rückstau des Blutes in die herznahen Venen. Imposant zeigt sich dies, wenn die Halsvenen als Folge hervortreten. Und dann ist auch höchste Eile geboten, denn eine geringere Füllung des Herzens führt logischerweise zu einer akuten Hypotonie, Tachykardie und Atemnot. Mit anderen Worten: Es entsteht eine Schocksymptomatik (es handelt sich genauer gesagt um einen kardiogenen Schock). Ein interessanter Untersuchungsbefund bei Patienten mit einer Herzbeuteltamponade kann der sogenannte Pulsus paradoxus sein. Dabei handelt es sich um einen Abfall des systolischen arteriellen Drucks bei Inspiration des Patienten. Im Extremfall kann man sogar feststellen, dass der periphere Puls (z.B. an der A. radialis) beim Einatmen des Patienten komplett verschwindet.
Eine zweite, wichtige Komplikation der akuten Perikarditis ist der Übergang in eine chronische Perikarditis. Dabei kommt es zu einer Schrumpfung des Herzbeutels. Der Fachbegriff dafür ist Pericarditis constrictiva (Panzerherz). Durch dieses Geschehen wird das Herz dauerhaft eingeschnürt, mit Folge einer chronischen Herzinsuffizienz. Es können sich obere und untere Einflussstauungen bilden, welche, wie schon bei der Herzbeuteltamponade, als prall gestaute Halsvenen darstellen können.
Diagnostisch ist das Mittel der Wahl bei der Perikarditis die Echokardiographie. Therapeutisch kann bei einem ausgedehnten Erguss eine Punktion durchgeführt werden. Begleitend muss, neben dieser rein symptomatischen Therapie, nach den Ursachen gefahndet werden, welche sich, wie oben dargestellt, sehr vielfältig darstellen. Und da kann unter Umständen einiges an Geduld vonnöten sein.



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