Montag, 1. Oktober 2012

Fallbeispiel: Akute Schmerzen im Brustkorb


Anamnese:

Allgemein:
- 60-jähriger Mann
- voll orientiert
- adipöse Konstitution
- plötzliche Schmerzen im Brustkorb

Frage: Welche Differenzialdiagnosen fallen Ihnen zum Thema akuter Thoraxschmerz ein?

Differenzierung der Beschwerden:
Symptome hätten vor 20 Minuten begonnen und seien in ihrer Intensität ungefähr gleich geblieben. Der Patient kenne solche Beschwerden noch nicht. Einen Auslöser könne er nicht benennen.
Die Schmerzen seien mittelstark. Die Qualität der Schmerzen beschreibt er als stechend. Das Symptom findet sich im gesamten Brustkorb und zwischen den Schulterblättern. Ausstrahlungen seien nicht vorhanden.

Vegetative Anamnese:
Der Patient berichtet von leichter Angst. Fieber habe er nicht, aber er schwitze mäßig. Er verspüre eine leichte Übelkeit und ihm schwindele es ein wenig. Atemnot habe er nicht. Er klagt über Herzklopfen.

Vorerkrankungen:
Bei ihm sei ein hoher Blutdruck bekannt. Dazu habe er regelmäßig Kopfschmerzen.

Medikamenten- und Suchtanamnese:
Er nehme Mittel gegen den Blutdruck. Er sei Raucher (40py).

Sozioökonomische Anamnese:
Der Patient sei verheiratet.

Familienanamnese:
Seine Mutter sei an einem Herzinfarkt gestorben. Sein Vater habe Lungenkrebs gehabt.

Fragen: Welche Vermutungen kommen Ihrer Ansicht nach bezüglich der beschriebenen Anamnese in Betracht? Welche Thoraxkrankheiten können mit stechenden Schmerzen einhergehen? Welche Rolle messen Sie den genannten Kopfschmerzen bei?


Befund:

Allgemeines:
- Patient sieht blass aus und ist kaltschweißig
Herz-Kreislauf:
- Herzfrequenz: 100/min
- Blutdruck: 140/80
- schwacher peripherer Puls an der linken A. radialis
- auskultatorisch unspezifisches Geräusch an der linken A. carotis communis

Frage: Was ist Ihre favorisierte Diagnose, besonders in Hinblick auf das Pulsdefizit am linken Arm und dem unspezifischen Geräusch an der linken A.c.c.?


(zur Auflösung bitte scrollen)


























Erläuterung zum Fallbeispiel "Aortendissektion"

Eine Aortendissektion ist definiert als ein Einriss der Innenschicht der Aorta. Meist ist, aufgrund hoher hydraulischer Scherkräfte die Aorta ascendens betroffen. Die gängigste Klassifikation der Aortendissektion ist nach Stanford benannt und unterscheidet Typ A und Typ B. Dabei spricht man vom Typ A, wenn die Aorta ascendens (proximale Dissektion) und vom Typ B, wenn die Aorta descendens (distale Dissektion) betroffen ist.
In dem Beispiel finden wir einen älteren Herrn mit bekanntem Bluthochdruck, was absolut typisch ist, da die Aortendissektion bei Männern doppelt so häufig, wie bei Frauen vorkommt, eine Häufung im höheren Lebensalter besteht und ein prädisponierender Faktor die Hypertonie ist. Etwas verwirrend ist, dass die Schmerzen nur mittelschwer zu sein scheinen, während normalerweise rasende Schmerzen beschrieben werden. Typischerweise finden sich die Schmerzen an Vorder- und Rückseite des Thorax, was auch in diesem Fallbeispiel beschrieben ist. Nicht beobachtet worden ist ein Wandern der Schmerzen, was bei progressivem Einreißen der Aorta typisch ist. Dass der Patient keinen klaren Auslöser benennen kann, ist ein Befund, der ins Bild der Aortendissektion passt. Die Familienanamnese ist etwas kniffelig gestaltet. Seine Mutter sei an einem Herzinfarkt gestorben, an welchen natürlich auch hier gedacht werden muss, da sich die Bilder dieser zwei Notfälle sehr ähneln können. Der Lungenkrebs beim Vater ist ebenfalls irreführend, denn im Zusammenhang mit dem Rauchen bei dem hier beschriebenen Patienten (40py), kann man auch diese Krankheit hier vermuten, wobei der Lungenkrebs selbst sicher nicht mit dieser Symptomatik einhergehen würde, wohl aber ein eventueller Pneumothorax als Folge eines Durchbruchs durch ein Malignomgeschehen. Gegen den Pneumothorax spricht allerdings der unauffällige Befund der Lungenuntersuchung. Einen sehr speziellen Hinweis gibt der Patient durch die Angabe von regelmäßigen Kopfschmerzen. Man muss in diesem Zusammenhang wissen, dass Patienten in der Regel nicht zwischen Kopf- und Gesichtsschmerzen unterscheiden können. Bei diesem Fall soll es sich um Gesichtsschmerzen handeln, welche wiederum den Bogen zur Arteriitis temporalis spannen sollen, welche einen Risikofaktor für eine Aortendissektion darstellt.
Zur körperlichen Untersuchung ist Folgendes anzumerken: Blässe und Kaltschweißigkeit sind als vegetative Reaktion auf das Geschehen zu werten. Die Aortendissektion kann je nach Stadium mit Hypo- oder Hypertonie einhergehen. Der schwache periphere Puls an der linken A. radialis kann ein Hinweis auf die Lokalisation der Dissektion sein (in diesem Fall nach dem Abgang des Truncus brachiocephalicus). Das unspezifische Geräusch in der Auskultation der linken A. carotis communis erhärtet den Verdacht bezüglich der Lokalisation.
Abschließend soll noch gesagt werden, dass die akute Aortendissektion eine Krankheit ist, die trotz intensivmedizinischer Therapie und Operationen eine Sterblichkeit von ca. 20 Prozent aufweist. Sie ist also als absoluter Notfall zu betrachten, bei dem jede Minute zählt.



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