Anamnese:
Allgemein:
-
40-jähriger Patient
-
bewusstseinsklar
-
Gesichtsblässe
-
schlank
-
Metallarbeiter
-
akute Schmerzen im Brustkorb mit Atemnot
Frage:
Welche Differenzialdiagnosen fallen Ihnen in Bezug auf akute
thorakale Schmerzen und Atemnot ein?
Differenzierung
der Beschwerden:
Plötzlicher
Beginn der Beschwerden vor einer halben Stunde. Die Symptome hätten
seit Beginn zugenommen. Noch nie solche Beschwerden gehabt. Er habe
Sport gemacht und mit einem Mal seien die Beschwerden da gewesen.
Schmerzen und Atemnot seien sehr stark ausgeprägt. Die Schmerzen
seien atemabhängig. Der Schmerz befinde sich ausschließlich im
Brustkorb. Es gäbe keine Ausstrahlungen.
Frage:
Welche Diagnosen werden durch die Atemabhängigkeit der Schmerzen
wahrscheinlicher und welche treten eher in den Hintergrund?
Vegetative
Anamnese:
Der
Patient hat Panik. Er ist kaltschweißig. Kein Husten/Auswurf. Er
gibt Herzrasen an.
Medikamenten-
und Suchtanamnese:
Der
Patient ist Raucher (20 py). Medikamente nimmt er keine.
Familienanamnese:
Häufung
von Krebserkrankungen in der Familie. Großvater mit Brustkrebs.
Mutter mit Bronchialkarzinom.
Befund:
Kopf/Hals:
-
Halsvenen normal
Thorax:
-
sichtbare Seitendifferenz bei der Atemexkursion
-
auskultatorisch fehlendes Atemgeräusch links
-
hypersonorer Klopfschall links
-
aufgehobener Stimmfremitus links
Kreislauf:
-
Blutdruck: 100/60
-
Puls: 120
Frage:
Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose, vor allem im Hinblick auf die
Seitendifferenz bei der körperlichen Untersuchung?
(zur Auflösung bitte scrollen)
Erläuterung
zum Fallbeispiel "Spannungspneumothorax"
Der
Spannungspneumothorax ist ein akut lebensbedrohliches Krankheitsbild.
Unbehandelt führt er fast unweigerlich zum Tod des Patienten durch
Einengung des Herzens und damit vermindertem venösem Rückstrom zu
Selbigem.
In
der allgemeinen Anamnese wird angegeben, dass der Patient akute
Schmerzen im Brustkorb mit Atemnot habe. Die wichtigsten
Differenzialdiagnosen, die man bei einer solchen Konstellation im
Kopf haben muss, sind Lungenembolie, Herzinfarkt, Hämatothorax und
die Aortendissektion. Dies sind zumindest die bedrohlichsten
Krankheiten, die in Zusammenhang mit diesen Symptomen stehen.
Der
Berufsanamnese kommt hier eine gewisse Bedeutung zu. Metallarbeiter
sind häufig Stäuben ausgesetzt, die die Lunge langfristig schädigen
können. Die Gesichtsblässe ist ein eher unspezifisches Symptom,
untermauert jedoch in jedem Fall die Panik des Patienten. Das Alter
des Patienten ist für einen Spontanpneumothorax fast schon ein
bisschen zu hoch, soll aber zeigen, dass eben in der Medizin nicht
immer alles typisch verläuft.
Die
Differenzierung der Beschwerden ist relativ eindeutig und lässt die
Diagnose Spannungspneumothorax wahrscheinlicher werden. Ein
plötzlicher Beginn, stetige Zunahme der Beschwerden, erstmaliges
Auftreten und der Sport als Auslöser sind äußerst typisch. Dass
die Schmerzen atemabhängig sind, passt auch enorm gut ins Bild.
Die
vegetative Anamnese ist ebenfalls richtungsweisend. Die Panik, die
Kaltschweißigkeit, das Herzrasen können zwar bei verschiedenen
Krankheiten auch auftreten (auch im psychiatrischen Bereich; zum
Beispiel bei einer akuten Psychose) aber im Zusammenhang mit den
bisherigen Daten unterstreichen sie die Verdachtsdiagnose.
Ein
sehr wichtiger Hinweis ist, dass der Patient langjähriger Raucher
ist. Er hat bereits 20 Packungsjahre auf dem Buckel. Dazu muss man
wissen, dass fast alle Patienten mit einem Spontanpneumothorax
Raucher sind.
Die
Familienanamnese ist ein wenig verwirrend. Aber auch ein
Bronchialkarzinom kann natürlich bei dem Patienten vorhanden sein,
was bei der zusätzlichen Raucheranamnese nicht verwunderlich wäre.
Auch kann ein Bronchial-Ca bei Durchbruch durch die viszerale Pleura
einen Pneumothorax auslösen. Bewusst gewählt ist der Brustkrebs
beim Großvater, da dies verdeutlichen soll, dass das Mamma-Ca kein
reines Frauenproblem ist, auch wenn es bei Letzteren natürlich viel
häufiger auftritt. Die Prognose bei einem Mamma-Karzinom des Mannes
ist allerdings sehr viel schlechter, da es oft sehr spät
diagnostiziert wird und somit oft in einem fortgeschritteneren
Stadium ist. Das erklärt sich daraus, dass man als Mann naturgemäß
seine Brust eher selten gezielt auf Anomalien untersucht, was bei
Frauen dagegen ja eher üblich ist.
Die
körperliche Untersuchung weißt extrem eindeutige Befunde auf. Eine
sichtbare Seitendifferenz bei der Atemexkursion, auskultatorisch
fehlendes Atemgeräusch links, hypersonorer Klopfschall links sind
wegweisend. Der hypersonore Klopfschall macht eine andere
Differenzialdiagnose unwahrscheinlich: Den Hämatothorax, denn bei
diesem wäre der Klopfschall eher hyposonor. Der Stimmfremitus ist in
diesem Zusammenhang eher eine fakultative Untersuchung und bei der
eindeutigen Konstellation der anderen Symptome tendenziell unnötig.
Wichtig
ist, wenn man den Spannungspneumothorax vermutet, wie die derzeitige
Lage des Patienten einzuschätzen ist. Dass so ein Patient
schnellstens in eine Klinik gehört, sollte selbstverständlich sein.
Aber die Kreislaufuntersuchung zusammen mit dem Kopf/Hals-Befund
sollte die Ernsthaftigkeit der Lage endgültig klarmachen. Der
Patient ist tachykard und hypoton. Dazu kommt, dass die Halsvenen
nicht gestaut sind, wie es für den Spannungspneumothorax jedoch oft
typisch ist. Dies ist kein gutes Zeichen, da damit vermutet werden
kann, dass bereits eine akute Schocksymptomatik vorhanden ist. Der
erhöhte intrathorakale Druck, der die Halsvenen sonst anstauen
lässt, ist zwar vorhanden, aber aufgrund des verminderten Auswurfs
von Blut aus dem Herzen (bedingt durch den eingeschränkten venösen
Rückstrom), ist ein relativer Volumenmangelschock entstanden.
Hier
noch einige Notfallmaßnahmen: Sollte der Patient bewusstlos werden,
aber die Atmung erhalten bleiben, so legen Sie ihn in die stabile
Seitenlage, wobei die verletzte Seite nach unten gelagert wird.
Außerdem haben Sie noch eine Möglichkeit, welche allerdings nur im
äußersten Notfall in Betracht kommen sollte. Sie können bei
dramatischem Verlauf mit einer Kanüle zur Entlastung in die
betroffene Seite des Thorax einstechen. Es gibt klare Richtlinien,
wie dies zu tun ist. Allerdings sollten Sie diese Option nur
wahrnehmen, wenn Sie sich wirklich sicher sind, dass es sich um einen
Pneumothorax handelt, da Sie sonst größten Schaden anrichten
können. Außerdem sollten Sie eine Fortbildung gemacht haben, welche
Übungsmöglichkeiten für diesen Fall mit beinhaltete.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen