Dienstag, 25. September 2012

Fallbeispiel: Metallarbeiter mit akuter Atemnot


Anamnese:

Allgemein:
- 40-jähriger Patient
- bewusstseinsklar
- Gesichtsblässe
- schlank
- Metallarbeiter
- akute Schmerzen im Brustkorb mit Atemnot

Frage: Welche Differenzialdiagnosen fallen Ihnen in Bezug auf akute thorakale Schmerzen und Atemnot ein?

Differenzierung der Beschwerden:
Plötzlicher Beginn der Beschwerden vor einer halben Stunde. Die Symptome hätten seit Beginn zugenommen. Noch nie solche Beschwerden gehabt. Er habe Sport gemacht und mit einem Mal seien die Beschwerden da gewesen. Schmerzen und Atemnot seien sehr stark ausgeprägt. Die Schmerzen seien atemabhängig. Der Schmerz befinde sich ausschließlich im Brustkorb. Es gäbe keine Ausstrahlungen.

Frage: Welche Diagnosen werden durch die Atemabhängigkeit der Schmerzen wahrscheinlicher und welche treten eher in den Hintergrund?

Vegetative Anamnese:
Der Patient hat Panik. Er ist kaltschweißig. Kein Husten/Auswurf. Er gibt Herzrasen an.

Medikamenten- und Suchtanamnese:
Der Patient ist Raucher (20 py). Medikamente nimmt er keine.

Familienanamnese:
Häufung von Krebserkrankungen in der Familie. Großvater mit Brustkrebs. Mutter mit Bronchialkarzinom.


Befund:
Kopf/Hals:
- Halsvenen normal
Thorax:
- sichtbare Seitendifferenz bei der Atemexkursion
- auskultatorisch fehlendes Atemgeräusch links
- hypersonorer Klopfschall links
- aufgehobener Stimmfremitus links
Kreislauf:
- Blutdruck: 100/60
- Puls: 120

Frage: Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose, vor allem im Hinblick auf die Seitendifferenz bei der körperlichen Untersuchung?


(zur Auflösung bitte scrollen)





































Erläuterung zum Fallbeispiel "Spannungspneumothorax"

Der Spannungspneumothorax ist ein akut lebensbedrohliches Krankheitsbild. Unbehandelt führt er fast unweigerlich zum Tod des Patienten durch Einengung des Herzens und damit vermindertem venösem Rückstrom zu Selbigem.
In der allgemeinen Anamnese wird angegeben, dass der Patient akute Schmerzen im Brustkorb mit Atemnot habe. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen, die man bei einer solchen Konstellation im Kopf haben muss, sind Lungenembolie, Herzinfarkt, Hämatothorax und die Aortendissektion. Dies sind zumindest die bedrohlichsten Krankheiten, die in Zusammenhang mit diesen Symptomen stehen.
Der Berufsanamnese kommt hier eine gewisse Bedeutung zu. Metallarbeiter sind häufig Stäuben ausgesetzt, die die Lunge langfristig schädigen können. Die Gesichtsblässe ist ein eher unspezifisches Symptom, untermauert jedoch in jedem Fall die Panik des Patienten. Das Alter des Patienten ist für einen Spontanpneumothorax fast schon ein bisschen zu hoch, soll aber zeigen, dass eben in der Medizin nicht immer alles typisch verläuft.

Die Differenzierung der Beschwerden ist relativ eindeutig und lässt die Diagnose Spannungspneumothorax wahrscheinlicher werden. Ein plötzlicher Beginn, stetige Zunahme der Beschwerden, erstmaliges Auftreten und der Sport als Auslöser sind äußerst typisch. Dass die Schmerzen atemabhängig sind, passt auch enorm gut ins Bild.
Die vegetative Anamnese ist ebenfalls richtungsweisend. Die Panik, die Kaltschweißigkeit, das Herzrasen können zwar bei verschiedenen Krankheiten auch auftreten (auch im psychiatrischen Bereich; zum Beispiel bei einer akuten Psychose) aber im Zusammenhang mit den bisherigen Daten unterstreichen sie die Verdachtsdiagnose.
Ein sehr wichtiger Hinweis ist, dass der Patient langjähriger Raucher ist. Er hat bereits 20 Packungsjahre auf dem Buckel. Dazu muss man wissen, dass fast alle Patienten mit einem Spontanpneumothorax Raucher sind.
Die Familienanamnese ist ein wenig verwirrend. Aber auch ein Bronchialkarzinom kann natürlich bei dem Patienten vorhanden sein, was bei der zusätzlichen Raucheranamnese nicht verwunderlich wäre. Auch kann ein Bronchial-Ca bei Durchbruch durch die viszerale Pleura einen Pneumothorax auslösen. Bewusst gewählt ist der Brustkrebs beim Großvater, da dies verdeutlichen soll, dass das Mamma-Ca kein reines Frauenproblem ist, auch wenn es bei Letzteren natürlich viel häufiger auftritt. Die Prognose bei einem Mamma-Karzinom des Mannes ist allerdings sehr viel schlechter, da es oft sehr spät diagnostiziert wird und somit oft in einem fortgeschritteneren Stadium ist. Das erklärt sich daraus, dass man als Mann naturgemäß seine Brust eher selten gezielt auf Anomalien untersucht, was bei Frauen dagegen ja eher üblich ist.

Die körperliche Untersuchung weißt extrem eindeutige Befunde auf. Eine sichtbare Seitendifferenz bei der Atemexkursion, auskultatorisch fehlendes Atemgeräusch links, hypersonorer Klopfschall links sind wegweisend. Der hypersonore Klopfschall macht eine andere Differenzialdiagnose unwahrscheinlich: Den Hämatothorax, denn bei diesem wäre der Klopfschall eher hyposonor. Der Stimmfremitus ist in diesem Zusammenhang eher eine fakultative Untersuchung und bei der eindeutigen Konstellation der anderen Symptome tendenziell unnötig.
Wichtig ist, wenn man den Spannungspneumothorax vermutet, wie die derzeitige Lage des Patienten einzuschätzen ist. Dass so ein Patient schnellstens in eine Klinik gehört, sollte selbstverständlich sein. Aber die Kreislaufuntersuchung zusammen mit dem Kopf/Hals-Befund sollte die Ernsthaftigkeit der Lage endgültig klarmachen. Der Patient ist tachykard und hypoton. Dazu kommt, dass die Halsvenen nicht gestaut sind, wie es für den Spannungspneumothorax jedoch oft typisch ist. Dies ist kein gutes Zeichen, da damit vermutet werden kann, dass bereits eine akute Schocksymptomatik vorhanden ist. Der erhöhte intrathorakale Druck, der die Halsvenen sonst anstauen lässt, ist zwar vorhanden, aber aufgrund des verminderten Auswurfs von Blut aus dem Herzen (bedingt durch den eingeschränkten venösen Rückstrom), ist ein relativer Volumenmangelschock entstanden.
Hier noch einige Notfallmaßnahmen: Sollte der Patient bewusstlos werden, aber die Atmung erhalten bleiben, so legen Sie ihn in die stabile Seitenlage, wobei die verletzte Seite nach unten gelagert wird. Außerdem haben Sie noch eine Möglichkeit, welche allerdings nur im äußersten Notfall in Betracht kommen sollte. Sie können bei dramatischem Verlauf mit einer Kanüle zur Entlastung in die betroffene Seite des Thorax einstechen. Es gibt klare Richtlinien, wie dies zu tun ist. Allerdings sollten Sie diese Option nur wahrnehmen, wenn Sie sich wirklich sicher sind, dass es sich um einen Pneumothorax handelt, da Sie sonst größten Schaden anrichten können. Außerdem sollten Sie eine Fortbildung gemacht haben, welche Übungsmöglichkeiten für diesen Fall mit beinhaltete.



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